"Ohne Freundschaft gibt es kein Leben."
Marcus Tullius Cicero (106-43), röm. Redner u. Schriftsteller

 

Ich war nie allein.

 


 

Das - rechtzeitig eingeleitete - künstliche Koma stellte für mich einen Glücksfall dar. Wäre ich von allein ins Koma gefallen, hätte dies wahrscheinlich mein Ende bedeutet. Näheres hierzu siehe Seite Porphyrie.
(Tip: Isabel Allende: Paula, erschienen 1994, geschrieben als Gedenken an ihre Kindheit in Santiago und ihre Jahre im Exil. Sie schrieb es in Form eines Briefs an ihre Tochter, die an Porphyrie litt. Die Tochter lag in einer Intensivstation eines Krankenhauses in Madrid - der Zettel mit den unverträglichen Medikamenten, welchen die Tochter stets bei sich führte, kam abhanden, sie erhielt falsche Medikamente, woraufhin sie dann einen schweren Gehirnschaden erlitt und starb. Nachzulesen in einem Interview mit Isabel Allende hier.)
(Der oben stehende Absatz wurde am 02.10.2012 überarbeitet.)

 

Bereits während des künstlichen Komas wurden mir sehr starke Schmerzmittel gegeben. Diese Schmerzmittel verursachten sehr unangenehme Träume; an einen Teil davon kann ich mich heute noch erinnern, und ich möchte es ungern nochmals erleben müssen.

 

Ich erinnere mich jedoch auch noch - trotz des künstlichen Komas - an Untersuchungen im Computertomographen, ebenso an die Entnahme von Liquor aus dem Rückenmark und an das Setzen zumindest eines zentralen Venenkatheters (ZVK) in der Halsvene sowie einer Kurzasystolie bei der Entfernung eines ZVK, dieses allerdings alles traumartig ausgebildet.

 

Wovon ich nichts mehr weiß sind zwei Asystolien ~30 Sekunden, Nierenversagen sowie das Setzen eines Tracheostomas, das Legen einer Magensonde durch die Bauchdecke (PEG) sowie mehrerer Pneumonien.

 

Die erste wirkliche Erinnerung habe ich dann an meine zweite Fahrt zur neurologischen Fachklinik. Im Verlaufe dieser Fahrt wachte ich zeitweise auf und erinnere mich auch noch an das Eintreffen Ende Mai 2009. So kam ich dann nach vorausgegangenen Komplikationen von einer Intensivstation zur nächsten.

 

Danach fehlen mir wieder Erinnerungen.

 

Ab einem bestimmten Zeitpunkt jedoch klarte ich immer weiter auf, nachdem die entsprechenden Medikamente reduziert werden konnten.

 

In diesen Momenten entdeckte ich, was mit mir geschehen war, was die Krankheit mit meinen Nerven gemacht hat. Die Myelinschicht war beschädigt. Dies betraf selbstverständlich auch innere Organe wie z. B. Lunge, Herz, Nieren, Verdauungstrakt, aber auch die Muskulatur an sich, wie z.B. die Atemhilfsmuskulatur, obere und untere Atemwege usw. - kurzum, alles.

 

Ich entdeckte, daß ich bewegungsunfähig war. Von der Nase an abwärts war ich gelähmt und gefühllos. Bewegen konnte ich lediglich noch meine Augenlider sowie meine Augäpfel.

 

Sprechen war mir natürlich - zusätzlich auch aufgrund des Tracheostomas - unmöglich.

 

Insgesamt konnte ich mich somit weder verständigen noch mich bewegen. Man stelle sich die Situation vor - nur der Kopf erfaßt langsam das volle Ausmaß der Beschädigungen. Und kann es nicht ändern...

 

Als Erstes kam die Bewegung im Bereich des Halses zurück. Dies betraf sowohl den Kopf als auch den Schluckreflex. Mühsam gelang eines Tages die erste halb sitzende Position im Bett. Zudem wurde eines Tages das Tracheostoma geblockt und ich konnte die ersten - wenn auch noch sehr leisen - Worte sprechen. Oh, war das ein Tag!

 

Relativ früh begannen auch die ersten Bewegungstherapien. Hier erinnere ich mich an das erste, am Bettende montierbare, "Fahrrad". Es bewegte anfangs meine Beine mittels eines Motors. Eines Tages jedoch begann ich gegen kaum spürbaren Widerstand zu treten. Ab da - so dachte ich - ging es spürbar bergauf. Zu dem Zeitpunkt rechnete ich auch damit, spätestens im Sommer wieder auf den Beinen zu sein. Aber es kam alles anders.

 

Ebenso erinnere ich mich an die Therapeuten, welche sich große Mühe gaben, mich nach den Monaten des Liegens wieder an die aufrechte Position zu gewöhnen. Dies sollte mittels eines Stehbrettes geschehen. Ein Stehbrett ist im Grunde eine Liege mit einem Motor, der die Liegefläche am Kopfende aufrichtet. Zuvor jedoch muß der Patient auf dieser Liege abrutschsicher fixiert werden. Aber: Bei rund 45 Grad Schräglage war Schluß fürs erste: Der Kreislauf machte nicht mehr mit. Allerdings wurde diese Behandlung konsequent fortgesetzt.

 

Ebenso lernte ich, wieder aufrecht zu sitzen; zuerst im Bett, dann an der Bettkante. Oh, wie hoch doch so ein Bett ist!

 

Ferner erlernte ich das Sitzen neu; sämtliche Muskulatur war durch die fehlende nervliche Ansteuerung zurückgebildet!

 

Endlich, endlich kam der so lange herbeigesehnte Tag, völlig überraschend auch für mich: Ich durfte raus aus dem Zimmer!
Meine Freunde schoben mich mittels Rollstuhl nach 100 Tagen Intensivstation das erste mal durch den Klinikpark. Lange ging es aufgrund der Schmerzen beim Sitzen nicht, aber es war so wunderbar, frische Luft atmen zu dürfen, die Schmetterlinge zu sehen, die Bienen, die Hummeln, die Bäume, die Blumen, das Gras - es war ein Geschenk!

 

Ende Juli 2009 durfte ich dann die Intensivstation verlassen und kam auf die Normalstation. Nun war ich den Therapeuten aber ausgeliefert!

 

Ich erinnere mich daran, wie ich das erste mal mit dem Rollstuhl - inzwischen hatte ich einen elektrischen Rollstuhl. Ferrari light! - zwischen die Stangen eines Barrens fahren mußte, um mich dann zu erheben. Allerdings trugen mich die Beine weniger als meine Arme, mit denen ich mich abstützen mußte.

 

 

Als ich noch auf der Kipfenberger Intensivstation lag, war es mein erklärtes Ziel, zu Weihnachten 2009 die Klinik zu verlassen, und zwar aufrecht gehend.

 

Nun, dieses Ziel verfehlte ich um rund 6 Wochen, aber als ich die Kipfenberger Klinik verließ um nach Bad Windsheim zu fahren, tat ich dies aufrecht gehend. So, wie es sein mußte!

 

Im Laufe der Zeit erlernte ich immer mehr von dem, was ich einst konnte. Nach fast 12 Monaten Klinikaufenthalten betrat ich am 31.03.2010 zum ersten Male wieder meine Wohnung. Die ersten Tage waren, da ich nun mehr oder weniger allein auf mich gestellt war, eine große Herausforderung. Inzwischen jedoch lebe ich ganz gut in meiner Wohnung, genieße den Ausblick und kann meinen täglichen Aufgaben relativ problemlos nachkommen.

 

 

All' das, was noch fehlt, muß kompensiert werden. Aber ich kann nur betonen: Der Weg bis heute war und ist unglaublich mühsam. Aber so ist es eben, wenn die Krankheit zu spät diagnostiziert wird! Auch heute muß ich regelmäßig Krankengymnastik und Ergotherapie in Anspruch nehmen. Aber ich lebe. :o)

 

Dank der Erkrankung und der dadurch bedingten dauerhaften Beschädigungen von Nerven habe ich nun die Rente erreicht. Eine 100%ige Genesung ist als unwahrscheinlich anzusehen.

 

Gerne erinnere ich mich jedoch immer wieder an die gemeinsamen Stunden mit meinen Freunden. Wir aßen mitgebrachte Wurst und Brötchen gemeinsam, wir gingen (fuhren) aus und besuchten Restaurants - das erste Restaurant war eine Pizzeria, und es war warm draußen, und, was habe ich wohl als erstes gegessen? Na klar! Pizza - mit der ersten Spezi nach langer Zeit! *lach* -, wir entdeckten auf Spaziergängen (-fahrten meinerseits) den erweiterten Park sowie die Altmühl.

 

 

Es war so schön, eines Tages nach so langer Zeit der Klinikkost (anfangs durch die PEG, später dann mehr normal) die erste Currywurst zu essen. ;o) - Diese Besuche waren sehr, sehr wichtig und bedeuten mir bis heute unglaublich viel! Ich bedauere noch heute die Menschen in der Klinik (und letztlich trifft es auf alle Kliniken zu), die keinen Menschen hatten, der sie besuchte und sich um sie und ihre Angelegenheiten kümmerte. Hier habe ich einmal mehr ein unglaubliches Glück gehabt!

 

 

Schön war auch der Kontakt mit dem Pflegepersonal sowie mit den Ärzten und Therapeuten. Auch sie haben mitgeholfen, das Leben in der Klinik ein wenig lebenswerter zu machen. Da man davon ausgehen konnte, daß viele Patienten für einen längeren Zeitraum in dem Hause bleiben, entwickelte sich ein anderes Verhältnis als zu Pflegekräften, Ärzten und Therapeuten in einer Akutklinik.

 

Euch allen kann ich nur von ganzem Herzen danken! Ich lebe wieder! :o)

Hinweis:

 

In den Texten zu dem Thema "Krankheit" - alle Seiten betreffend - steht sowohl Normaltext als auch Kursivtext.

 

Der Kursivtext kennzeichnet Stellen, an die ich mich selbst nicht mehr erinnere. Hier bin ich angewiesen auf das, was meine Freunde mir erzählten sowie auf Berichte der beteiligten Ärzte und Kliniken.


Meine Klinikaufenthalte

 

dauerten zusammenhängend vom 09.04.2009 bis zum 31.03.2010 und betrafen folgende Kliniken:

 

In diesem Zeitraum durchlief ich also die aufnehmende Klinik, eine neurologische Fachklinik sowie zum Schluß eine neurologische Rehabilitationsklinik.

 

Rückschläge in der gesundheitlichen Entwicklung führten auch zwischendurch immer wieder zu Rückverlegungen in die seinerzeit aufnehmende Klinik.